ePA-Opt-Out

Klammheimliche Einführung mit Impfpflichtgesetz gescheitert

Kommentar von Dr. Andreas Meißner,
Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS)

Mit der Impfpflicht hat sich dieser Tage auch die Opt-Out-Lösung für die elektronische Patientenakte (ePA) erledigt. Vorerst zumindest. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, war die Widerspruchslösung in zwei Gruppenanträgen der Ampelkoalition zur Impfpflicht versteckt worden. Einer der Anträge wurde unterstützt von Bundestagsabgeordneten wie Maria Klein-Schmeink, Janosch Dahmen (Nachfolger von Klein-Schmeink als gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen) oder Olaf Scholz.

©privat Meißner: "Warum eigentlich scheuen die Verantwortlichen hierzu die offene Diskussion?"

Im Kompromissvorschlag zur Impfpflicht ab 60, präsentiert am Tag vor der Abstimmung im Bundestag, war von Opt-Out dann erstaunlicherweise keine Rede mehr. Anstelle dieser Lösung sollte nun die Einwilligung der Versicherten Voraussetzung dafür sein, dass Impfdaten in die ePA übertragen werden. Im ursprünglichen Vorschlag hätte es ermöglicht werden sollen, dass die Daten unmittelbar in der ePA landen, sofern der Versicherte nicht widerspricht. Dafür aber hätte die ePA für alle erst scharf geschaltet werden müssen, was bisher nicht ohne Antrag bzw. Einverständnis der Versicherten möglich ist. Um das zu verstehen, muss der entsprechende Satz im jetzt gescheiterten Gesetzesvorschlag schon mehrmals gelesen werden: „Die technischen Voraussetzungen dafür, dass die Daten der Zertifikate als Teil der elektronischen Patientenakte zur Verfügung gestellt werden können, sind von den Adressaten der Regelung bis zum 1. November 2022 zu schaffen“.

Die „Adressaten der Regelung“, nämlich die Krankenkassen, hatten im März heftig protestiert. Deren Spitzenverband kritisierte den Zeitdruck, auch wegen nötiger technischer Änderungen in der Benutzerverwaltung, dazu käme ein erheblicher Vertrauensverlust bei den Versicherten. Eine überstürzte und schlecht kommunizierte Einführung der ePA-opt-out-Lösung, noch dazu verknüpft mit etwaigen Sanktionsmaßnahmen bei Nichterfüllung der Impfpflicht, würde dem ePA-Projekt erheblichen Schaden zufügen – und somit das Vertrauen der Versicherten in die Digitalisierung des Gesundheitswesens allgemein und nachhaltig untergraben, so der Verband.

Heimlichkeit als Methode

Dieses Vertrauen aber wird schon länger nicht gefördert. Es fällt auf: Schon bisher wurden die Einführung der Telematikinfrastruktur (TI) und die zentrale Server-Speicherung der ePA-Daten in der Öffentlichkeit nicht diskutiert. Scheinbar sind die allgemeinen Medien von der Trockenheit und Komplexität dieser Themen überfordert. Oder der wirtschaftliche Druck verhindert eine offene Berichterstattung – ist doch die Bertelsmann-Tochter Arvato als technische Betreiberin der TI zentral in das Projekt involviert. Sämtliche Spahn-Gesetze zu TI und ePA wurden unbemerkt vollzogen. Dazu jetzt also der Versuch der neuen Regierung, die im Koalitionsvertrag angekündigte Umstellung auf Opt-Out ebenso im Stillen durchzuziehen.

Warum eigentlich scheuen die Verantwortlichen hierzu die offene Diskussion? Trotz auch von unserer Seite vielfach erfolgter Anregungen hat bisher keine Talkshow, kein politisches Kabarett die ePA aufgegriffen – obwohl Feldversuche wie der für das E-Rezept mit nach Monaten gerade mal 42 erfolgreichen Durchläufen, oder elektrostatische Entladungen durch neue Gesundheitskarten und dadurch abstürzende Systeme, oder der jetzt schildbürgerhaft nötig werdende Ersatz Tausender von Konnektoren hierfür genug Stoff liefern würden. Gut, dass knapp 10 Prozent der Niedergelassenen hier nun keine erneuten Kosten verursachen werden – weil sie sich nie an das zweifelhafte System angeschlossen haben.

Bisher kein Mehrwert – dafür anderweitig Mangel überall

Denn vom Nutzen der milliardenteuren ePA sind bisher allenfalls Politik und e-Health-Industrie überzeugt – das Gros der Praxen sicher nicht. Sie haben sich nur unter Sanktionsdruck die Hard- und Software für die TI besorgt (neben der Stille ist dieser Zwang ein weiteres zweifelhaftes Charakteristikum der TI-Einführung). Ein gebremster Workflow ist die Folge. Von dem die Verantwortlichen offenbar keine Ahnung haben, was deutlich wird, wenn Gematik-Chef Leyck-Dieken kürzlich meinte, ein E-Rezept könne „in wenigen Minuten ausgestellt werden“. Hat er jemals in Sekundenschnelle in einer Praxis ein rosa Rezept ausgedruckt? Mal abgesehen davon, dass viele gerade ältere oder psychisch Kranke genau dieses weiter lieber auf die Hand bekommen, da einfacher zu bedienen als mittels leidigem Herumwischen am Bildschirm eines Smartphones – das über die Hälfte der Über-65-Jährigen in Deutschland gar nicht nutzt, wie eine Umfrage 2021 ergab. Auch von der älter werdenden Gesellschaft noch nichts gehört, Herr Leyck-Dieken? Auch hier also jetzt Umsetzung mit Zwang, mit dem E-Rezept als Pflicht?

Im von den Patienten oft gelobten bisherigen Praxissystem stellen sich ganz andere Probleme: zunehmende psychische Störungen, soziale und existenzielle Sorgen der Patienten, zu wenig Zeit und Honorierung für dafür nötige Gespräche, steigender Bedarf an Präventionsberatung bei (auch digitalisierungsbedingtem) Bewegungsmangel und Übergewicht, mit allen Folgen für Herz-Kreislauf und Bewegungsapparat. Dazu Folgen des Klimawandels mit vermehrten Allergien und Hitzebeeinträchtigungen. Vom zunehmenden Mangel an MFAs, Pflegekräften und Ärzten ganz zu schweigen. Der aber wird nicht durch Gesundheitsdaten auf Servern auszugleichen sein. Die im Notfall, etwa in der Rentnerwohnung oder auf der Autobahn, sowieso nicht zur Verfügung stehen. Für alles Weitere würde ein Papier mit Diagnosen, Medikamenten und Allergien in der Jackentasche reichen.

Ja, das klingt oldfashioned. Und ja, die Krankenkassen klagten in ihrem Protest darüber, es herrsche derzeit akuter Papiermangel, sie könnten daher Millionen an Versicherten gar nicht über die Scharfschaltung der ePA informieren. Aber wir haben derzeit auch einen eklatanten Mangel an IT-Fachkräften, zudem an Chips und Halbleitern, auf den im Zusammenhang mit dem Konnektor-Austausch selbst das Branchenmagazin E-Health-Com hingewiesen hat. So sinnvoll also mancher Digitalisierungsschritt auch grundsätzlich sein mag (dann aber bitte mit sicherer Vernetzung, Freiwilligkeit und dezentraler Datenspeicherung), so sehr stößt auch dies heute an Grenzen.

Opt-Out auf anderen Wegen?

Es ist gut, dass Opt-Out für die ePA nicht gekommen ist, offenbart diese Lösung doch ein seltsames Verständnis von „Freiwilligkeit“, die auch heute noch mit Hinweis auf Opt-In (!) auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums betont wird. Aber so wie die Impfpflicht noch lange nicht endgültig vom Tisch ist (wie immer man dazu stehen mag), so wird auch die ePA-Opt-Out-Lösung sicher nochmals Thema werden. Oder eben auch nicht – da wahrscheinlich wieder im hinteren Teil eines Gesetzentwurfs versteckt. Die entsprechenden Lobbygruppen werden nicht locker lassen. Wir in den Praxen aber werden dazu wieder nicht gefragt werden, wie schon bei Einführung der TI, denn von der Seite der Anwender her war das Projekt nie durchdacht gewesen (leider auch nicht von Verbands- und KV-Funktionären). Gesetzestexte aber wird man weiter wachsam lesen müssen.

Bei den folgenden Kommentaren handelt es sich um die Meinung einzelner änd-Mitglieder. Sie spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Zugang nur für Ärzte. Melden Sie sich an oder registrieren Sie sich, um die Community-Diskussion zu sehen.

Im Fokus – Fakten und Hintergründe

BÄK-Schreiben

GOÄ-Entscheidung auf dem nächsten Ärztetag?

Wer auch immer der nächste Gesundheitsminister wird: Der nächste Deutsche Ärztetag im Mai soll ihm eine fertige neue GOÄ überreichen, hinter der die geschlossene Ärzteschaft steht. Dieses Ziel verfolgt die BÄK mit viel Energie: Die Gespräche mit den Verbänden, die Änderungsbedarf angemeldet hatten, laufen auf Hochtouren.

Hofmeister rechnet mit Lauterbach ab

„Ideologie hat im Gesundheitswesen nichts verloren“

Der Vize-Vorsitzende der KBV, Dr. Stephan Hofmeister, hat auf der Vertreterversammlung in Berlin die Gesundheitspolitik der Ampel scharf kritisiert. Er warf der Regierung fehlende Reformen, ideologische Überfrachtung und eine verfehlte Ambulantisierung vor.

KBV-VV

„Wir brauchen einen kompletten Neustart“

An der Gesundheitspolitik der Ampel lässt KBV-Vorsitzender Dr. Andreas Gassen kein gutes Haar. Von einer neuen Bundesregierung forderte er am Freitag in Berlin einen kompletten Neustart bei der Gesundheitsgesetzgebung - unter Einbeziehung der Selbstverwaltung.

änd-Interview-Serie mit den gesundheitspolitischen Fraktionssprechern

Ullmann: „Wir müssen die Ambulantisierung entfesseln“

Ambulantisierung, Notfallreform und Entbürokratisierung müssen zuoberst auf die Agenda der neuen Bundesregierung, meint der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Professor Andrew Ullmann. Im Interview mit dem änd verspricht er auch, dass ein FDP-Gesundheitsminister die GOÄ reformieren würde.

Zahnärzte

Niederlassung in Einzelpraxis kostet im Schnitt 463.000 Euro

Die Kaufpreise für zahnärztliche Praxen steigen seit Jahren kontinuierlich. Allerdings fiel der Anstieg 2023 mit fünf Prozent moderater aus als im Jahr zuvor mit 17 Prozent, meldet die Apobank am Mittwoch in einer Auswertung.

Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze

Ministerium fürchtet Flucht der freiwillig Versicherten in die PKV

In einem Schreiben an den Gesundheits­ausschuss hat das Bundesgesundheits­ministerium vor Folgen einer deutlichen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze gewarnt. Das Ministerium befürchtet in der Folge eine Abwanderung von freiwillig Versicherten in die Private Krankenversicherung.

änd-Serie: Angestellt in der Praxis – Ärztinnen und Ärzte berichten

„Meine Chefin gesteht mir jetzt schon Personal­ver­ant­wortung zu“

Ein sicheres Gehalt, Zeit für Nebentätigkeiten oder einfach nur ein Sprungbrett für die eigene Niederlassung: Argumente für eine ärztliche Tätigkeit in Anstellung gibt es viele. Der änd hat verschiedene angestellte Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich nach ihren Beweggründen gefragt. Heute: Anja Thiemann, Hausärztin in Berlin.

ePA

KV-Vorstand rechnet mit Startproblemen

In Brandenburg melden sich mehr Praxen als erhofft als Referenzpraxen für den Start der elektronischen Patientenakte. Trotzdem dämpft KV-Vorstand Holger Rostek die Erwartungen und mahnt alle Seiten zur Geduld.

BÄK-Positionen zur Bundestagswahl

„Grundlegende Reformen notwendig“

Die Bundesärztekammer hat ihr Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 veröffentlicht. Neben einem Plädoyer für die Freiberuflichkeit und mehr Förderung beim ärztlichen Nachwuchs fordert die BÄK darin einen ressortübergreifenden Health-an-all-Policies-Ansatz, eine bessere Koordination und Steuerung in der Patientenversorgung und Bürokratieabbau.

Ex-BfDI Kelber

„Die ePA wird nicht die letzte große Kraftanstrengung sein“

Er bezeichnet sich gern als „bekennender Fan von Digitalisierung“ und glaubt daran, dass Digitalisierung im Gesundheitswesen sehr positive Auswirkungen haben kann. Doch insbesondere beim Projekt der elektronischen Patientenakte (ePA) hat der ehemalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Prof. Urich Kelber, schwere Bedenken.

Kolumne

Viel Geld, wenig Erfolg?

Kein europäisches Land wendet mehr Geld für Gesundheit auf, als Deutschland. Im europäischen Vergleich sind die finanziellen Ressourcen enorm, der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung hingegen eher gering. Was muss passieren?

Interview mit Professor Martin Hirsch

KI-Forscher Hirsch: „Wir sollten vorsichtig sein“

Es wäre unverantwortlich nicht das volle Potenzial von KI für die medizinische Versorgung zu nutzen, meint der Marburger Medizin-KI-Forscher Professor Martin Hirsch. Im Interview mit dem änd zeigt er Perspektiven für den KI-Einsatz in Praxen, mahnt aber auch den passenden ethischen Rahmen an.

Fazit aus Blitzumfrage

DKG fordert Verlängerung der ePA-Testphase für Kliniken

Ab Mitte Februar 2025 sollen auch Krankenhäuser die elektronische Patientenakte verpflichtend nutzen. Doch längst nicht alle Kliniken fühlen sich gut darauf vorbereitet, zeigt eine Blitzumfrage. Die DKG fordert nun, die Pilotphase über den 15. Februar hinaus zu verlängern.

GKV-Arzneimittelkosten 2023

Kassen geben so viel wie nie zuvor für Medikamente aus

Die GKV-Ausgaben für Arzneimittel sind auf einen neuen Rekordwert geklettert: Im vergangenen Jahr betrugen sie 54 Milliarden Euro netto, berichtet das Wissenschaftliche Institut der AOK. Es hat auch Daten zu den verordnenden Facharztgruppen ausgewertet.

Debatte um angespannte GKV-Finanzen

Trotz immer weiterer Milliarden wächst die Unzufriedenheit

Die GKV steht unter Druck: Eine Finanzierungslücke von 13,8 Milliarden Euro und steigende Ausgaben drohen das System aus dem Gleichgewicht zu bringen. Beim Bayreuther Gesundheitsdialog diskutierten Fachleute Reformansätze, um die GKV langfristig zu stabilisieren.

Veranstaltung der Gematik

Wie die ePA im PVS integriert wird

In einer Online-Veranstaltung können sich Ärztinnen und Ärzte darüber informieren, wie PVS-Hersteller die ePA in ihre Praxisverwaltungssysteme integrieren und sie zu bedienen sein wird. Dazu lädt die Gematik ein.

Sorge

Union will Gesundheitsministerium nach der Wahl übernehmen

Die Unionsfraktion im Bundestag hat angekündigt, das Gesundheitsministerium nach der Bundestagswahl im Februar wieder in die eigene Hand nehmen zu wollen. Außerdem kündigt CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge Nachbesserungen bei einem großen Reformprojekt an.

Berlin-Brandenburg

HÄV droht bei ausbleibender Entbudgetierung mit Protest

Das GVSG wackelt aufgrund des Endes der Ampelkoalition. Aber ohne die darin festgeschriebene Entbudgetierung für Hausarztpraxen können diese die steigenden Bedarfe nicht mehr deckeln, warnt der Hausärzteverband Berlin und Brandenburg – und droht mit Konsequenzen.

Thüringer Koalitionsvertrag

Nächste Arztpraxis soll maximal 20 Minuten entfernt sein

Haus-, kinder - und frauenärztliche Praxen sollen nicht weiter als 20 Fahrtminuten entfernt sein; dasselbe gilt für Zahnärzte. Dieses ambitionierte Ziel gibt die Thüringer Brombeer-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag aus.

Gewalt gegen Frauen

Wie gynäkologische Praxen gewaltbetroffenen Frauen helfen

Gynäkologische Praxen sind für Mädchen und Frauen, die Gewalt erlebt haben, eine der ersten Anlaufstellen, um Hilfe zu leisten. Darauf weist der Berufsverband der Frauenärzte anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen hin. Denn neben der medizinischen Erstversorgung können sie gesundheitliche Folgen auch dokumentieren.

Wofür steht der änd?

Mehr als 50.000 Ärzte lesen, diskutieren und teilen ihr Wissen. Kostenlos anmelden Nur für Ärzte!

Kollegenfragen - Diagnose und Behandlung

Sie brauchen einen Rat oder haben Antwort auf die Fragen eines Kollegen? Machen Sie mit

Jetzt Fragen stellen