Wie ein Hausarzt zu einem berühmten „Impfluencer" wird
Er wird in der Pandemie zu einem der bekanntesten Hausärzte in Deutschland: Dr. Christian Kröner ist Allgemeinmediziner und Internist mit eigener Praxis in Neu-Ulm. Und: Seit der Corona-Impfkampagne wird er zum sogenannten Impfluencer. Mit seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit in den sozialen Netzwerken und dem Kampf um die Nutzung der siebten Dosis aus der Biontech-Ampulle schafft der 40-jährige Mediziner es international in die Medien und zu Markus Lanz ins Studio. Aber all das hat auch seinen Preis.

Mit einem einfachen Aushang in seiner Praxis fängt alles an. Die Impfkampagne geht gerade los, die Patientinnen und Patienten sind verunsichert und haben viele Fragen. „Wir haben jeden Tag 50-mal das Gleiche erzählt und kamen gar nicht mehr zum Arbeiten“, erinnert sich Kröner.
Auf einem Blatt Papier schreibt er schnell die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen und hängt Sie ins Wartezimmer, um den Patientinnen und Patienten die Bedenken zur Impfung zu nehmen. Am Abend stellt Kröner das Infoblatt auf Facebook. Innerhalb einer Stunde wird es 2.000-mal geteilt. Am gleichen Abend ruft der regionale Radiosender an, am Morgen die Redaktion von RTL. In kürzester Zeit erhalten Millionen Menschen über die sozialen Netzwerke das Aufklärungspapier aus der Praxis Dr. Kröner.
„Katastrophale Kommunikation der Politik“
„Das hat gezeigt, wie groß der Informationsbedarf am Anfang war. Von offizieller Seite gab es ja kaum Informationen zur Impfung, von Impfgegnern dagegen sehr viele. Das war eine katastrophale Kommunikation der Politik. Die Patientinnen und Patienten informierten sich teilweise auf Facebook und Telegram und kamen mit Verschwörungstheorien zu uns in die Praxis“, berichtet Kröner. Er ist sich sicher, dass man mit einer früheren Aufklärungskampagne und einer „Vermeidung des Informationsvakuums“ viel Misstrauen hätte verhindern können. „Die Politik hat damit den Querdenkern die Hoheit über das Narrativ zur Impfkampagne überlassen“, sagt der Hausarzt rückblickend.
Aufklärung findet auf Twitter statt
Mit seinen mittlerweile fast 37.000 Followern auf Twitter beantwortet er gemeinsam mit anderen Impfluencerinnen und Impfluencern Tag und Nacht Fragen von verunsicherten Bürgerinnen und Bürgern. Zudem posten sie die neusten Studien zu Corona. Eine ganze Community aus Forschenden und Ärzteschaft tummelt sich seit Beginn der Pandemie auf dem Mikroblogging-Dienst. Sie tauschen sich auch untereinander zu Datenlagen und politischen Entscheidungen aus.
„Stiko hat bei Corona-Impfkampagne kein gutes Bild abgegeben“
Neben der fehlenden Kommunikation der Politik sieht Kröner aber auch die „schleppende Arbeit“ der Ständigen Impfkommission (Stiko) als Ursache für die zähe Impfkampagne in Deutschland. „Die Stiko hat bei der Corona-Impfkampagne kein gutes Bild abgegeben. Sie hat nicht gelernt in den Pandemiemodus umzuschalten. Die Empfehlungen kamen alle, auch im internationalen Vergleich, viel zu spät. Das Hin und Her mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff hat die Kampagne gebremst und die Menschen massiv verunsichert. Es sind mutmaßlich viele Schwangere zu Schaden gekommen, weil die Stiko mit der Empfehlung für werdende Mütter erst sehr spät kam“, ärgert sich Kröner noch heute.
Impfstoff landet im Müll
Anfang 2021 geht es für Kröner weiter mit einem neuen Aufregerthema: Er ärgert sich über die „systematische Impfstoffverschwendung“. Zu Beginn der Impfungen ist die Verwendung von nur fünf, dann sechs Dosen aus einem Biontech-Fläschchen erlaubt, eine weitere Dosis technisch aber möglich. Sie landet aus juristischen Gründen in den Impfzentren im Müll. „Das war dramatisch, weil wir ja zu Beginn der Impfkampagne viel zu wenig Impfstoff hatten“, erklärt Kröner. Er wird wieder aktiv, bringt das Thema in die Medien und startet eine Petition. Sie wird vom Gesundheitsausschuss des bayerischen Landtags abgelehnt. Dennoch nutzen Ärztinnen und Ärzte, spätestens seit den Impfungen in den Arztpraxen, seitdem die siebte Dosis aus der Ampulle – verpflichtend ist sie allerdings nicht. Ein Teilerfolg für den Impfluencer.
Morddrohungen und Polizeischutz
Der mediale Höhepunkt kommt dann bei Markus Lanz: Kröner ist eingeladen und hält ein Plädoyer für die Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen. Nachdem er anfängt Jugendliche in seiner Praxis zu impfen, wird es für den Neu-Ulmer Arzt zunehmend gefährlich: Er wird massiv beschimpft, erhält Morddrohungen und benötigt zeitweise Polizeischutz bei der Arbeit. Eine zum Glück glimpflich ausgegangene Kühlpanne der Impfstoffe in seiner Praxis schlägt hohe Wellen. Aber er lässt sich nicht unterkriegen, impft Kinder und Jugendliche aus der ganzen Republik – und kämpft weiter unermüdlich für die Impfung und eine bessere Aufklärung.
„Ich glaube Lauterbach ist zu nett“
Als Hausarzt behandelt er aktuell täglich zwei bis drei Patientinnen und Patienten mit Long-Covid. Die vollständigen Lockerungen im vergangenen März zum Höhepunkt der Omikronwelle hält er für einen Fehler – zumindest die Maskenpflicht hätte bleiben sollen. „Long-Covid wird uns in den kommenden Jahren als Gesellschaft noch massiv beschäftigen. Wir haben aktuell keinerlei gute Therapiemöglichkeiten“, berichtet der Allgemeinmediziner. „Ich bin kein Freund von Freiheitsbeschränkungen, aber ich hätte mir gewünscht, dass das Maskentragen in öffentlichen Bereichen wie Supermarkt weiterhin verpflichtend ist“, so Kröner. „Wir müssen irgendwo einen Mittelweg finden zwischen ‚das Leben mit dem Virus leben‘ und völliger Ignoranz des Problems.“ Vom Bundesgesundheitsminister sei er ein wenig enttäuscht. „Lauterbach scheitert an den politischen Realitäten. Ich glaube, er weiß was richtig wäre, ist aber vermutlich zu nett und kann sich gegen die dominante FDP nicht durchsetzen.“
Impfmüdigkeit im Corona-Herbst
Und wie schaut Kröner mit all seiner Erfahrung auf den kommenden Corona-Herbst? Er bezweifelt, dass Deutschland gut vorbereitet ist. Vorhersagen seien schwierig bis unmöglich. Je nachdem, wie sich die Varianten entwickeln, werde es vielleicht etwas ruhiger, weil die breite Immunität in der Bevölkerung besser sei. Er hofft, dass der Omikron-Impfstoff noch pünktlich kommt und funktioniert. „Es wird aber schwierig, die Leute noch mal zum Impfen zu bewegen, vor allem die jüngeren Menschen. Sie sind alle impfmüde. Aber auch die impfenden Kolleginnen und Kollegen können nach über zwei Jahren Pandemie-Marathon nicht mehr“, so Kröner. Er selbst wird wieder impfen, aber dieses Mal aus Kapazitätsgründen nur seine eigenen Patientinnen und Patienten.
„Man weiß nicht mehr, welche Seite radikaler ist“
Es ist die Geschichte eines Hausarztes, der sich mit großer Leidenschaft, bis zur Verausgabung, für die Menschen in der Pandemie engagiert, die Impfkampagne vorantreibt und viel bewirkt, der aber auch viel einstecken und lernen muss. Über die Unerbittlichkeit des Medienbetriebs und die Trägheit der Politik. Er genießt das neue Netzwerk mit „hochdekorierten Menschen“, die er sonst nie kennengerlernt hätte, aber es geht ihm vor allem immer um die Sache. Er will seinen Teil beitragen, „das Momentum positiv nutzen“, um die Pandemie zu bekämpfen. In den vergangenen Monaten wird er zurückhaltender, vielleicht auch ein bisschen müde.
Vor einigen Wochen postet er mit seinen verbündeten Ärztinnen und Ärzten auf Twitter ein Foto von einem gemeinsamen Treffen in einer Kneipe – erstmals nach zwei Jahren Pandemie. Die Reaktionen im Netz sind fatal. „Es gab Anfeindungen, wie wir nur so unvorsichtig sein könnten. Wir seien schuld, wenn wir kranke Menschen anstecken und diese sterben“, erzählt Kröner. Und beobachtet: „Die Pandemie hat die Menschen gespalten. Man weiß mittlerweile gar nicht mehr, welche Seite radikaler ist.“