„Wir müssten eigentlich alles delegieren, was delegierbar ist“
Im Ausland, vor allem in den USA und den Niederlanden, gibt es sie schon lange: Physician Assistants (PA). Ihre Aufgabe ist es vor allem, die Ärzte zu entlasten. Bisher werden sie vor allem im stationären Sektor eingesetzt. Doch auch im fachärztlichen ambulanten Bereich sind sie angesichts des Fachkräftemangels auf dem Vormarsch. Im hausärztlichen Bereich sind die PAs aber noch eine Rarität. Die „Hausärzte im Spritzenhaus“ im baden-württembergischen Baiersbronn beschäftigen derzeit gleich zwei PA-Studierende. Dr. Wolfgang von Meißner ist einer der Hausärzte in der großen Gemeinschaftspraxis und offizieller PA-Beauftragter von MEDI. Der änd sprach mit ihm über die Potentiale von Physician Assistant in der hausärztlichen Versorgung und warum sich derzeit nur große Einheiten diese Unterstützung leisten können, obwohl doch gerade Einzelpraxen sie so dringend bräuchten.
Herr von Meißner, Physician Assistants sind im ambulanten Bereich noch selten anzutreffen, im hausärztlichen Bereich sind sie besonders rar. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie und Ihre Kollegen beschlossen haben, einen PA in die Praxis zu holen? Wer hatte die Idee?
Vor ein paar Jahren kam eine neue MFA-Auszubildende zu uns. Wir haben sie im letzten Ausbildungsjahr übernommen, weil ihre Praxis geschlossen wurde. Sie hat die Ausbildung hier abgeschlossen und als MFA gearbeitet, dann aber festgestellt, sie möchte weitermachen. Dann kam sie mit der Idee des PA-Studiums eigentlich auf uns zu. Daraufhin wurden wir dann Kooperationspartner der dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe. Wir waren damals tatsächlich erst die zweite offiziell zertifizierte duale Ausbildungsstätte im hausärztlichen Bereich.
Wie haben Sie auf die Anfrage der jungen MFA reagiert? Wussten Sie adhoc, was ein Physician Assistant im ambulanten Bereich überhaupt leisten kann?
Wir sind ja eine recht große Praxis mit zehn ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Die jüngeren von ihnen kannten das Berufsbild PA tatsächlich schon aus dem Krankenhaus und konnten nur Positives berichten. Dort entlasten sie die Station, machen erste Assistenzen bei Operationen, selbstständig Herzechos und andere Ultraschalluntersuchungen, übernehmen bei verschiedenen Eingriffen die Sedierung und Patientenbeobachtung, nur um einige Beispiele zu nennen.
Dann haben wir uns überlegt, dass es auch für den ambulanten Bereich Sinn machen würde, vor allem in einer Praxis unserer Größe. Woran wir zunächst gedacht hatten, war allerdings in erster Linie die bürokratische Entlastung, etwa diese ganze Schnittstellenproblematik, Entlass-, Einweisungsmanagement, Anträge für die Rentenversicherungen und Reha. Wir haben dann aber ganz schnell gemerkt, dass sie beispielsweise im Bereich der Akutsprechstunde hervorragend sind und dort auch toll entlasten können.
Ein weiterer Aspekt, warum es aus Arbeitsgebersicht Sinn macht: Man kann damit den Beruf der MFA attraktiv machen, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Man kann ihnen dann ganz klare Perspektive bieten.
Ist die MFA inzwischen fertig? Welche Aufgaben übernimmt sie?
Sie hat uns leider nach den ersten drei Semestern verlassen und ist in den stationären Bereich gewechselt. Wir stehen in regem Kontakt und wissen, dass sie mittlerweile mit ihrem Studium fertig ist und in einem Krankenhaus in Baden-Baden arbeitet. Außerdem möchte sie nun weitermachen und möglicherweise sogar Medizin studieren. So gesehen haben wir tatsächlich ein lachendes und ein weinendes Auge.
Aber wir haben inzwischen zwei weitere PA-Studierende. Eine weibliche PA, die im vierten Semester ist, und auch einen männlichen im ersten Semester. Er studiert in Heidelberg an der ISBA. Dort liegt der Anteil der Studierenden aus dem ambulanten Bereich inzwischen bei etwa 30 Prozent. Die meisten kommen aus der Nephrologie, Kardiologie und Radiologie. Im hausärztlichen Bereich ist es noch etwas exotisch, schlicht weil es nicht so viele große Hausarztpraxen gibt.
Befürchten Sie, dass Sie auch diese beiden an den stationären Bereich verlieren könnten?
Die Gefahr besteht immer. Im Rahmen des Studiums machen sie bei dieser breiten Ausbildung eben auch Praktika im Krankenhaus und könnten Gefallen daran finden. Wir müssen das aber riskieren, wenn PA tatsächlich – und so erleben wir das – in der Lage sein sollen, den Patienten durch unser Gesundheitssystem und durch die Sektoren zu lotsen. Das geht natürlich viel besser mit persönlichen Kontakten. Wenn die PA im Krankenhaus Praktika gemacht haben, kennen sie alle, haben alle Telefonnummer von allen Ärzten und sind super vernetzt. PA ist eben ein Studium für alle – egal, in welchem Bereich man später arbeiten will.
Wie sieht es aus wirtschaftlicher Sicht aus? Wie können die Kosten refinanziert werden?
Man kann einen PA aus den laufenden Honoraren an sich nicht finanzieren. Es gibt ja auch keine extra Abrechnungsziffern für ihre Leistungen. Mit den HzV-Verträgen haben wir hier in Baden-Württemberg einen großen Vorteil, weil wir damit fast 30 Prozent höhere Durchschnittshonorare im hausärztlichen Bereich haben. In einem budgetierten Bereich könnte es schwierig werden, den PA zu finanzieren. Denn mit 2.500 Euro kann man sie nicht abspeisen. Für einen fertigen PA muss man schon als Einstiegsgehalt mit 4.000 bis 4.500 brutto rechnen. Dann kommen noch die Arbeitgeberkosten oben drauf. Größere Einheiten tun sich deshalb leichter, den PA zu refinanzieren. Aber gerade kleine Praxen würden natürlich kolossal davon profitieren.
Doch dafür fehlen die rechtlichen Rahmenbedingungen leider komplett, egal ob im haus- oder fachärztlichen Bereich. Wir brauchen so etwas wie einen Team-Praxis-Aufschlag oder eine Entbudgetierung für bestimmte Bereiche, wenn eine Praxis weitere Berufe beschäftigt. Wir brauchen in allen Bereichen Neuregelungen, sowohl im EBM als auch in Baden-Württemberg in den Haus- und Facharztverträgen. Und zwar dringend. Im MEDI-Verbund bin ich offiziell der PA-Beauftragte und setze mich auch politisch dafür ein, dass PAs auch in den Vertragsverhandlungen berücksichtigt werden.
Denn die Not ist groß. Viele Facharztpraxen kriegen ja auch keinen ärztlichen Nachwuchs und müssten eigentlich alles, was delegierbar ist, auch delegieren, um wieder Zeit zu haben für die Dinge, die man nicht delegieren kann.
Bei den ersten Überlegungen und Argumente pro PA in der Praxis spielten ja vor allem organisatorische Aufgaben die Hauptrolle. Welche medizinischen Aufgaben können PAs ganz konkret übernehmen?
Das funktioniert tatsächlich sehr gut. Während des Studiums wird viel Wert auf Leitlinienarbeit gelegt. Die Studierenden und Absolventen sind es also gewohnt, nach Standards zu arbeiten. Sie machen das auch sehr zuverlässig. Das, was sie leisten können, geht deutlich über die Fähigkeiten einer MFA oder eine VERAH hinaus. Der PA kann aus meiner Sicht auf dem Niveau eines Arztes in Weiterbildung im letzten Jahr arbeiten, aber eben delegativ. Es ist heute schon viel möglich, oft weit darüber hinaus, was sich manche Ärzte vorstellen können, zu delegieren.
Ganz konkret kann man beispielsweise das Bauchaortenscreening wunderbar delegieren. Die PAs können es sehr schnell lernen und gründlich und zuverlässig machen. Die ganzen DMP-Programme gehören auch dazu. Grundsätzlich könnte das auch eine VERAH oder ein gute MFA. Allerdings leisten unsere PAs mehr, etwa die komplette Umstellung auf Insulin. Oder auch Blutdruck-Einstellung, Ergänzung der entsprechenden Medikamente, Kontrolle der Laborwerte oder Durchführung von Langzeitblutdruckmessungen. Das wird dann anschießend mit dem Arzt besprochen und funktioniert gut. Wo wir bisher die besten Erfahrungen gemacht haben, ist im Bereich der Akutsprechstunde.
Was empfehlen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Gedanken spielen, einen Physician Assistant einzusetzen?
Am wichtigsten ist die Auswahl des Studierenden. Wer sich mit dem Lernen schwer tut, ist nicht der richtige Kandidat. Man braucht außerdem ein hohes Maß an Motivation und klare Perspektive. Da muss man realistische und klare Ziele haben und vertragliche Vereinbarungen treffen. Wir haben zum Beispiel so geregelt, dass wir das Studium drei Jahre voll finanzieren. Anschließend verpflichtet sich der PA, nochmal drei Jahre bei uns zu arbeiten.
Was wir auch ganz schnell gelernt haben: Mann muss die Ausbildung in der Praxis auch so gestalten, dass der PA dort was lernt. Sie müssen dann natürlich mit in die Sprechstunden, wo sie ärztliche Gesprächsführung und Untersuchungstechniken lernen. Das heißt, sie müssen aus dem Dienstplan herausgeplant werden. Wir machen das in der Regel so, dass sie einen halben Tag bei den Ärzten mitlaufen, die andere Hälfte arbeiten sie als sogenannte Springer. Sie sind dann einen Patienten voraus, setzen ihn ins Sprechzimmer, bereiten alles vor und führen gegebenenfalls Voruntersuchungen durch, dann kommt der Arzt dazu. So können sie einerseits direkt bei den Ärztinnen und Ärzten lernen und andererseits das Gelernte gleich umsetzen. Da braucht man ein klares Konzept.
Und schließlich muss das Ganze auch mit den anderen Teammitgliedern abgesprochen sein. Es muss allen klar sein, dass ihre Kollegin oder ihr Kollege nun eine ganze andere Rolle hat und nicht mehr mal eben ans Telefon oder ins Labor kann. Das muss jedem bewusst sein, dass man sie nicht doppelt einsetzen kann. Eigentlich müsste man jemanden neu einstellen.
Sie würden die idealen Rahmenbedingungen für PA aussehen, damit sie zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte und im Sinne einer guten Versorgung eingesetzt werden können?
Da sollte man das Thema Delegation angehen: Es sind klare Definitionen nötig, was delegierbar ist und was nicht. Und dann geht es natürlich um die Finanzierung. PA-Leistungen müssten beim Honorar berücksichtigt werden, beispielsweise durch eine Abrechnungsziffer. Aber auch andere Konzepte wären denkbar. Erst dann haben wir Rechtssicherheit, die zu einer wirtschaftlichen Sicherheit führt. Es bringt nichts, wenn ich rechtlich etwas darf, aber es mir nicht leisten kann.