„Wir fürchten klare Abwanderungstendenzen“
Im Februar wollen Medizinische Fachangestellte für Gehaltssteigerungen streiken. Für die Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, Hannelore König, ist das das beste Mittel, um in Richtung der Arbeitgeber ein Zeichen zu setzen, sagt sie im änd-Interview. Auch Ärztinnen und Ärzte könnten von der Maßnahme profitieren.
Der Verband medizinischer Fachberufe will bei den Tarifverhandlungen den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Für den 8. Februar – dem Tag der vierten Tarifrunde – plant er deshalb einen Streik – zum ersten Mal in der Verbandsgeschichte. Warum haben Sie dieses Mittel gewählt, Frau König?
Weil wir in den Tarifverhandlungen nicht vorwärtskommen. Wir haben uns als Gewerkschaft bewegt, aber aus unserer Sicht hat sich unser Tarifpartner zu wenig bewegt. Und die Vorschläge für Gehaltssteigerungen sind zu niedrig, da sie für Berufseinsteigerinnen noch unterhalb des Mindestlohns für Pflegehilfskräfte nach einjähriger Ausbildung bleiben und langjährige Berufszugehörige nur mit 0,1 Prozent aus der Tarifrunde rausgehen. Das wird die Abwanderung weiter forcieren.
Wir kommen auch nicht weiter bei der Inflationsausgleichsprämie. Immerhin haben die MFA zwei Jahre Reallohnverlust hinter sich. Und auch bei der Erhöhung der Sonderzahlung bewegt sich der Tarifpartner nicht. Da haben wir in der Tarifkommission lange überlegt und sind der Meinung, wir müssen in Richtung der Arbeitgeber ein Zeichen setzen, das die berechtigte Forderung von 17 Euro im Einstiegsgehalt untermauert.
Viele Ärztinnen und Ärzte klagen selbst über zu wenig Honorar. Wie sollen sie da Ihrer Meinung nach das Gehalt von MFA steigern? Oder halten Sie das für ein vorgeschobenes Argument?
Ich denke, der Spielraum wäre da. Zumal im kinder- und jugendärztlichen Bereich die Entbudgetierung schon wirkt und bei ärztlichen Psychotherapeuten nachverhandelt wird. Im hausärztlichen Bereich wird sich – wie vom Bundesgesundheitsminister angekündigt und im Entwurf des Versorgungsgesetzes vorgesehen – auch etwas bewegen.
Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist es in den Finanzierungsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband im September gelungen, dass die Tarifänderungen bei den MFA künftig direkt in den Verhandlungen zum Orientierungswert berücksichtigt werden. Sie forderte für 2024 eine monatliche Gehaltserhöhung von 300 Euro über alle Berufsjahre und Tätigkeitsgruppen bei den MFA. Das Angebot der Arbeitgeberseite wäre für dieses Jahr aber nur eine Steigerung von 183 Euro als Mittelwert. Aus meiner Sicht ist daher jetzt der Zeitpunkt gekommen, mit einer entsprechenden Gehaltssteigerung die Vorlage für die Finanzierungsverhandlungen im Sommer 2025 mit dem GKV-Spitzenverband zu legen und das gegebene Versprechen einzufordern.
Ich kenne die Kommentare, in denen es heißt, wir liefern die Sargnagel für die niedergelassenen Arztpraxen. Das ist der falsche Ansatz. Jeder Arzt sollte sich bewusst sein, mit welchem Nettogehalt die MFA nach Hause gehen und dass sie damit die hohen Lebensmittelpreise gegenfinanzieren müssen.
Die Endbudgetierung der Kinderärztinnen und -ärzte wird seit April 2023 umgesetzt. Bekommen MFA in pädiatrischen Praxen jetzt Lohnerhöhungen?
Das können wir nicht beurteilen, weil wir nicht facharztspezifisch abfragen. Wir hören immer noch von Kinder- und Jugendärzten, dass sie keine MFA finden.
Aber das gilt nicht nur dort, sondern überall, der Markt ist leer. Wir fürchten klare Abwanderungstendenzen. Es gibt eine Schieflage zwischen dem MFA-Gehalt bei niedergelassenen Ärzten und dem Gehalt im Öffentlichen Dienst. Dadurch, dass der Mindestlohn der Pflegehilfskräfte nach einjähriger Ausbildung auf 16,50 Euro steigt und Pflegeeinrichtungen MFA abwerben, haben wir eine deutliche Verzerrung des Wettbewerbs.
Welche Reaktionen erwarten Sie von Patientinnen und Patienten, die den Streik am Ende womöglich am stärksten zu spüren bekommen, weil sie nicht behandelt werden können?
Ich hoffe, dass die Patientenvertretungen jetzt nicht die MFA an den Pranger stellen. Das Streikrecht steht ihnen, wie auch Pflegekräften und angestellten Ärzten, zu. Für den 30. Januar hat zum Beispiel der Marburger Bund zum Streik aufgerufen. Da wird vermutlich nicht diskutiert, dass darunter die Patienten leiden.
Dieses Verständnis von Patientinnen und Patienten erwarte ich auch für einen Streik der MFA, deren Gehalt noch weit unter den durchschnittlichen Gehältern in Deutschland liegt und die in der Pandemie 90 Prozent der Covid-19-Patienten versorgt und keinen Corona-Bonus erhalten haben. Wir rufen ja nur zu einem eintägigen Warnstreik auf mit kleineren weiteren Aktionen im Vorfeld.
Es gibt es zwar Facharztgruppen, die ohne MFA wenig machen können, Gastroenterologen zum Beispiel, aber in vielen anderen Bereichen können die Ärztinnen und Ärzte die Notfälle versorgen.
Ist Ihnen von den Mitgliedern des Verbands, also den MFA selbst, gespiegelt worden, ob sie teilnehmen?
Wir haben im Vorfeld unsere Mitglieder gefragt und 75 Prozent haben sich für Warnstreiks ausgesprochen. Das zeigt, dass unsere Mitglieder hinter uns stehen. Viele MFA, die frustriert sind, sagen: Endlich geht der Verband auf die Straße.
Glauben Sie, dass ein solcher Streik eine Wirkung haben kann auf die Interessen von Ärztinnen und Ärzte? Nicht nur, weil sie eventuell weniger arbeiten können, sondern auch weil der Politik gezeigt werden könnte: Hier sind Lohnsteigerungen wirklich nötig. Es muss dafür gesorgt werden, dass Ärztinnen und Ärzte die Tarifsteigerung refinanziert bekommen.
Das wäre ein hervorragender Nebeneffekt, wenn man im Bundesgesundheitsministerium tatsächlich sieht, dass es nicht nur Ärztinnen und Ärzte sind, die sagen: Hier gibt es eine Schieflage. Wir fordern schon seit Beginn der Legislatur von unserer Bundesregierung, dass die Finanzierung im ambulanten Bereich gesichert sein muss, damit unsere Arbeitgeber auch faire und wettbewerbsfähige Gehälter zahlen können. Die Forderung nach einer Gegenfinanzierung der Tarifsteigerung, und zwar zeitnah und vollumfänglich, analog den Pflegekräften in Kliniken, ist nach wie vor nicht vom Tisch. Das gilt auch für die Stärkung der MFA als Gesundheitsberuf, so wie es im Koalitionsvertrag versprochen wurde. Faire Gehälter wären nicht nur bei Pflegekräften, sondern auch bei MFA ein wirksames Mittel gegen den Fachkräftemangel.
Was ist die Minimalforderung des Verbands?
Wir können nicht abschließen unterhalb des Mindestlohns für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit einjähriger Ausbildung. Das ist das Gehalt von 16,50 Euro. Und alle MFA unabhängig von der Tätigkeitsgruppe und Berufserfahrung müssen eine Gehaltssteigerung bekommen, die oberhalb der prognostizierten Inflationsrate liegt.
Ließe sich ein Streik noch abwenden?
Der Warnstreik lässt sich aktuell nicht abwenden. Die Maschinerie ist jetzt angelaufen. Wir haben auch keinerlei Signale von der Arbeitgeberseite – ich habe beim Neujahrsempfang kurz mit dem Vorsitzenden der AAA sprechen können – erhalten. Es ist kein Entgegenkommen zu erkennen, das Angebot nachzubessern.