„Es muss Schluss sein mit der Ideologie der Freiberuflichkeit.“ Das sagte vor über 10 Jahren die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Jener Satz war der Beginn dafür, was alle darauffolgenden Bundesregierungen seither fortgeführt haben. Der ungeschriebene Vertrag der freien medizinischen Berufe mit dem deutschen Staat – über ein wechselseitig verständnisvolles Kooperieren auf dem Gesundheitssektor – wurde gekündigt. Vom Staat. Von den Regierenden.
Die Besonderheit eines jeden freien Berufs beruht seit jeher auf einer besonders engen, ja beinahe innigen Verpflichtung gegenüber dem Patienten, Klienten oder Mandanten. Der Freiberufler hat nicht nur irgendeinen beliebigen Kunden als Gegenüber, sondern über die bloße Dienstpflicht hinaus auch eine wertgetragene Verpflichtung für die Person, die sich ihm anvertraut. Diese vielgestaltige Pflichtenposition führt immer wieder auch zu besonderen Schwierigkeiten. Diese müssen von dem Träger eines freien Berufs ausbalanciert werden.
Jeder Vertrag hat aber immer auch mindestens zwei Seiten. Die freien medizinischen Berufe haben ihren ungeschriebenen Kooperationsvertrag mit Staat und Gesellschaft in Deutschland in dem Glauben geschlossen, dass ihnen dieser Staat und diese Gesellschaft für ihre ordentlichen Leistungen einerseits ein angemessen gutes und wirtschaftlich sicheres Auskommen als freie Unternehmer gewähren und belassen – und dass sie ihren Beruf andererseits frei ausüben dürfen. Denn nur in dieser freien Verantwortung lassen sich die vielgestaltigen Pflichten des Freiberuflers überhaupt erst erfüllen.
Dieses Verständnis einer freien Berufsausübung hat der Gesetzgeber beispielsweise noch in der Gewährung des Status als „Freiberufler“ im Partnerschaftsgesellschaftsgesetz zum Ausdruck gebracht, als er Freiberuflern einen besonderen steuerlichen Status in der Selbstständigkeit der eigenen Praxis zugestanden hat.
Mit seinen unzähligen gesetzgeberischen Aktivitäten der Jahre seit Ulla Schmidts Gesundheitsreform hat der Staat diesen Gesellschaftsvertrag des guten Willens zunächst immer weiter ausgehöhlt, dann immer wieder gebrochen und ihn jetzt zuletzt einseitig ganz aufgekündigt. Heute ist von Freiberuflichkeit im Vertragsarztrecht nichts mehr übrig geblieben. Vor uns liegt ein Gesetzeskonstrukt, das den Kassenarzt in einer ausbeuterischen und rücksichtslosen Weise gängelt, gegen die jeder Beamte und jeder Arbeitnehmer ohne Weiteres erfolgreich klagen könnte.
Wird aber ein Vertragspartner wortbrüchig, so muss sich auch die andere Seite nicht mehr an den ursprünglich gewollten Vertrag halten. Der Vertrag ist gegenstandslos geworden. Er gilt nicht mehr.
Daher steht es unseres Erachtens nun auch Ärzten und allen anderen betroffenen medizinischen Berufen frei, von den ehemals gegebenen Versprechen und geübten Gewohnheiten abzurücken:
Die in einer vormals akzeptierten Gebührenordnung gegebenen Preiszusagen sind nicht mehr bindend. Die Preise für medizinische Leistungen können in Zukunft wieder frei von externen staatlichen Zwängen zwischen Ärzten und Patienten verhandelt werden, die Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Patient unterliegt dem Allgemeinen Bürgerlichen Recht. Der Patient wird wieder der Vertragspartner für die geschuldete Leistung, nicht mehr der Staat oder seine Ausführungsorgane.
Eine Verpflichtung auf ein jedes wie auch immer gesetzgeberisch definiertes Gemeinwohl darf nicht dazu führen, dass sich der Arzt als freier Unternehmer von seinen besonderen Dienstleistungen nicht mehr angemessen finanzieren kann. Wir Ärzte nehmen damit wieder, wie jeder andere Bürger auch, die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundrechte als unseren Schutz in Anspruch. Einen Schutz, der uns durch die Sozialgesetzgebung seit Jahrzehnten faktisch vorenthalten wird. Mehr noch: Durch den Vertragsbruch des Staates entfällt die ärztliche Loyalitätspflicht gegenüber den willkürlichen Tageslaunen eines außer Kontrolle geratenen Sozialgesetzgebers.
Wir Ärzte bilden gern weiterhin unseren eigenen Nachwuchs aus, aber es kann nicht von uns verlangt werden, dass wir dies unter den herrschenden wirtschaftlichen Bedingungen tun. Es muss möglich sein, auch die Leistungen, die unsere Weiterbildungsassistenten erbringen, in Rechnung zu stellen. Denn wir Ausbilder übernehmen schließlich die Gewähr für die Qualität dieser Arbeit, die in unseren Praxen geleistet wird.
Wir Ärzte sind nicht länger bereit, für die staatlichen Durchgriffe auf unsere Praxisbetriebe durch die Körperschaften (Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen) selbst zu zahlen. Zieht sich der Staat nicht aus den Körperschaften zurück und werden diese nicht wieder zu unseren Interessenvertretern, dann soll der Staat auch für diese – seine! – Verwaltungsbehörden zahlen. Unsere ärztlichen Vertreter werden dann aus allen Gremien, die nur zur Beratung des Staates dienen, zurückgezogen.
Wir werden stattdessen – nicht anders als jeder Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft auch – ärztliche Interessenvertretungen in Form von freien Kammern gründen, denen sich die Kollegen freiwillig anschließen können und die der wirklichen Vertretung ärztlicher Interessen dienen.
Wir bedauern, uns durch die Politik der letzten Jahre gezwungen zu sehen, als Vertreter eines mit besonderem Ethos betrauten Berufs diesen Schritt zu gehen. Wir sehen jedoch, dass die Balance zwischen dem tatsächlichen Wohl unserer Patienten und dem nur sogenannten Gemeinwohl verloren gegangen ist. Das geht inzwischen so weit, dass wir Ärzte die Gesundheit des einzelnen Patienten gefährden sollen, wenn wir uns der staatlich verordneten „Solidarität“ des SGB V unterordnen müssen. Fraglich ist, ob die tägliche Staatsbürokratie allerorten unter dem „Gemeinwohl“ tatsächlich noch das Wohl aller versteht oder doch eher nur das Wohl der öffentlichen Kontrollbürokratie im Auge hat.
Wenn wir heute – als Freiberufler – sehen müssen, dass der real existierende Sozialstaat uns die gedeihliche Sorge um unsere Patienten faktisch unmöglich macht, dann verpflichtet uns unser ärztliches Ethos dazu, dem entgegenzutreten und mit dem nötigen Widerstand das Wohl der Gesellschaft zu verteidigen.
Diese Erklärung wurde am 21. April 2017 auf einem Treffen berufspolitisch engagierter niedergelassener Ärzte in der Hansestadt – des „Hamburger Kreises“ – diskutiert und einstimmig verabschiedet. Die Redaktion des änd ist für den Inhalt nicht verantwortlich.
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